151 (von 377) Befragten gaben an, dass diese Darstellungen ihre Behandlung negativ beeinflusst haben.
Die Konsequenz?
Verzögerung bei der korrekten Diagnose, therapeutischen Behandlung und die Förderung destruktiver Coping-Strategien.
Ein Auszug aus den Folgen die ich unter Betroffenen häufig antreffe:
- Das fragile Selbst-Vertrauen wird weiter eingeschränkt, Betroffene trauen der eigenen Wahrnehmung durch die Außendarstellung nicht (mehr). Symptome werden lapalisiert und damit dissoziative Barrieren gefördert.
- Verstärkte Abwehr gegen die Diagnose (p)DIS: "Wenn das (p)DIS ist, dann habe ich das nicht" und entsprechend verlängerter Heilungsprozess
- Starres Framing bei Symptomen im klinischen Kontext führt zu großem und teils retraumatisierendem Leid.
Statt zu überlegen, dass die Symptome auch verschiedene Ursachen haben könnten, wird ihnen einfach eine feste Bedeutung gegeben.
Das kann dazu führen, dass die Person in eine bestimmte "Schublade" gesteckt wird, zum Beispiel durch eine Diagnose, die gar nicht alle Aspekte ihres Erlebens erfasst.
- Menschen ohne dissoziative Identitätsstruktur, aber mit hoher Identitäts-Unsicherheit, können die Darstellungen auf sich selbst projizieren und den korrekten Diagnose-Prozess verlängern
- Kummer unter Betroffenen, da sie sich vom Helfernetz nicht ernst genommen fühlen und mit falschem Stigma zusätzlich kämpfen
Aus einer anerkannten Wissenschafts-Ecke (mit bestem Dank), finden sich folgende Empfehlungen:
📍 Fundierte Ausbildung für Kliniker in der Diagnose und Behandlung von Dissoziation sowie Nutzung von Experten- und Konsensrichtlinien.
Sowie die Integration von Schulungen zu Trauma und Dissoziation in die Ausbildung und Aktualisierung veralteter Informationen in Lehrbüchern.
↪ Aus meiner Erfahrung & Bubble mit Betroffenen der (p)DIS ergibt sich häufig das Problem, dass Fachpersonal im psychiatrischen Kontext wenig, bis keine Erfahrung mit den Symptomen der Dissoziation und verwandten Störungen hat.
In manchen Fällen ist lediglich rudimentäres, veraltetes Wissen vorhanden, während Darstellungen in sozialen Medien wie TikTok, YouTube, BeReal und Instagram als berechtigt gelten, jedoch von Betroffenen nicht als valide erlebt werden. Dies führt oft dazu, dass Fachpersonal seine Abwehrstrategien an Betroffenen auslässt.
Sätze wie 'Hallo! Mit wem spreche ich gerade? Aha, wie alt bist du? Ich spreche nur mit dem Host' oder 'MPS gibt es gar nicht' zeugen häufig von fehlendem Verständnis über die Überlebensstrategie (p)DIS. Manchmal fehlt es auch am Wissen, wie diagnostiziert wird und auch wie man die dahinterliegenden Störungsbilder bspw. [3] besser abgrenzen kann.
Ähnlich wie beim Autoführerschein wird angenommen, dass Fachkräfte sich eigenständig weiterbilden. In der Realität sieht es jedoch in manchen Fällen anders aus. Daher sollte die Grundausbildung agil an neue wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst werden, um allen Beteiligten zu helfen.
📍 Sensibilisierung von Kliniken für Vorurteile aus falschen Medienberichten und Förderung offener Gespräche mit Patienten
↪ Schnelllebige soziale Medien sind eine Gefahr für junge und instabile Menschen, wenn es um valide Informationsbeschaffung geht. Extrovertierte Darstellung von dissoziativen Anteilen, widerspricht in den allermeisten Fällen Betroffener der (p)DIS, denn die Überlebensstrategie ist das Gegenteil: In einem höchst gefährlichen Umfeld nicht auffallen, um funktional mit unterschiedlichen traumatischen Bedürfnisse von Außen zu jonglieren.
In einfach: Auffallen bedeutete häufig mehr Gefahr. Daher fühlt sich der Großteil der Betroffenen in den Medien nicht adäquat dargestellt.
📍 Hinterfragen stigmatisierender Darstellungen und Konsultation von Experten, um korrekte Darstellungen zu fördern
↪ Supervision sollte bei Trauma-Thematiken häufiger in Anspruch genommen werden, um die Ausrichtung regelmäßig auszutarieren und sicherzustellen, dass der therapeutische Prozess im Gleichgewicht bleibt.
Zusammenfassend: Ein Großteil der mit (p)DIS diagnostizierten Menschen erlebt sich als unsichtbar im medialen & wissenschaftlichen "Diskurs". Nur in kleinen (aber leuchtenden!) Schritten, werden Bücher und Papers, Studien und Berichte veröffentlicht, welche dem Leidensdruck unsichtbarer Betroffener Gestalt geben. Unter [4] findet man hilfreiche wissenschaftliche Artikel zum Thema.
Da fragt man sich: Was genau fehlt diagnostizierten Betroffenen der (p)DIS in der medialen Darstellung?
Viele Grüße,
Linehme
[1] It's not just a movie: Perceived impact of misportrayals of dissociative identity disorder in the media on self and treatment - Briana L. Snyder a, Stacey Marie Boyer b, Jennifer E. Caplan c, M. Shae Nester d, Bethany Brand
[2] Klinikpersonal, aber auch ambulante Therapeuten, psychiatrische Anlaufstellen (PIA, SPDi)
[3] https://www.dissoziation-forum.de/wissen/imitierte-p-dis
[4] https://doi.org/10.1016/j.ejtd.2024.100470 •