Theorie & Fakten

Was ist kPTBS?
Die 6B41 Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung wird gestellt, wenn:
- PTBS-Symptomatik vorhanden ist (Ausarbeitung folgt)
- Störung der Selbstorganisation (das umfasst Probleme Emotionen zu verstehen/regulieren, Dissoziation, negatives Selbstbild, Beziehungsprobleme, Selbstwertthemen) besteht
-> Differenzialdiagnose: Im DSM 5 dissoziativer Subtyp / Borderline-Muster -> hohe Komorbidität [1]

Unterschied zur PTBS kurz und knapp:
- Hintergrund bei der kPTBS meist wiederholte / lange anhaltende traumatisch erlebte Ereignisse
Symptome der kPTBS zusätzlich zu den TraumaTrias (Intrusion, Wiedererleben, posttraumatischer Vermeidung):
- Störung der Selbstorganisation [2]
- (schwere) emotionale Dysregulation
- dissoziatives Erleben
- verändertes Selbstbild
- Probleme mit Bindung(spersonen)
- oft auch veränderte Täterwahrnehmung

Was ist pDIS?
Die 6B65 Partielle dissoziative Identitätsstörung wird gestellt, wenn:
- Wahrnehmung teildissoziierter Symptome (pDIS)
- Eventuell kurze Phasen mit volldissoziierten Handlungen (meist in Hochstress-Situationen)

Unterschied zur kPTBS kurz und knapp:
- Bei der kPTBS nicht stark ausgeprägte dissoziativen Anteile im Sinne der DIS (Begriffe Anteile & Co.), ggf. Thematiken mit Ich-Zuständen / Ego-States / 1 ANP 1 gering ausgeprägter EP
- Bei der pDIS Tiefgreifendere alltägliche dissoziative Strukturen und wechselnde Selbstwahrnehmung und Verhaltensweisen auch im Alltag ("... mit freundlichen Grüßen aus dem Off")

Was ist DIS?
Die 6B64 Dissoziative Identitätsstörung wird gestellt, wenn:
- Strukturelle Dissoziation gegeben ist (Strukturelle Dissoziation)
- Und volldissoziiertes Handeln (= mit Amnesie) / exekutive Kontrolle mancher Anteile

Unterschied zur kPTBS kurz und knapp:
"Amnesien in Krisen oder im Alltag heute" müssen bei der Diagnose DIS "zwingend vorhanden" sein [2].
Dissoziative Anteile im Sinne der DIS (Begriffe Anteile & Co.).

Warum wirkt die kPTBS & (p)DIS nicht trennscharf zueinander?

Nach der Theorie der Strukturellen Dissoziation geht man von
- Primärer (1 dominierender ANP [3], 1 EP´s [3]) -> unter anderem PTBS)
- Sekundärer (1 dominierender ANP, 2+ EP´s) -> unter anderem kPTBS UND pDIS)
- Tertriärer (2+ ANP´s, 2+ EP´s -> (vollausgeprägte) DIS)
struktureller Dissoziation aus.

Das bedeutet, dass Betroffene mit kPTBS ebenfalls ein Thema mit dissoziativen Strukturen haben und / oder mehr oder weniger ausgeprägten inneren Anteilen, die bspw. in der Trauma-Zeit "feststecken".
Das Kontinuum ist enger beisammen zwischen kPTBS & pDIS & auch Betroffene mit stark ausgeprägtem Borderline-Muster sind hierbei kurz zu erwähnen.
Entsprechend finden sich manche Betroffene bei Beschreibungen der pDIS / DIS wieder, Symptome überlappen sich, ergänzen sich und doch gibt es aus meiner Sicht Unterschiede insbesondere der Identitätsstruktur bzw. - Fragmentierung.

Jan Gysi [2] empfiehlt, dass kPTBS zusätzlich zu (p)DIS (sofern Symptomatik vorhanden, ggf. unter einem ANP gedeckelt) diagnostiziert werden sollte.

Persönliche Erfahrungen

Nach meiner Erfahrung mit vielen Betroffenen der (p)DIS besteht immer auch eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung.
Nahezu immer gibt es oder gab es (wenn bereits Strategien entwickelt wurden) ein Thema mit Bindungspersonen / Bezugspersonen in der Kindheit bis ins Hier und Jetzt, mit unter ein typisches Symptom der kPTBS .

Liebe Grüße,
Linehme

Quellen:
[1] Multiple and interpersonal trauma are risk factors for both post-traumatic stress disorder and borderline personality disorder - Jowett, Karatzias, & Albert, 2019 DOI: 10.1111/papt.12248 
[2] Diagnostik von Traumafolgestörungen Jan Gysi 2021
[3] ANP = annähernd normaler Persönlichkeitsanteil | EP = emotionaler Persönlichkeitsanteil