Sind die Darstellungen auf Social Media Plattformen glaubhaft?

Erläuterung: Hallo, mein Therapeut glaubt ich habe eine DIS. Ich fühle mich seit dem wie eine Betrügerin, dass ich ihn ausgetrickst habe und dass ich mir alle Symptome nur einbilde. Ich habe vor etwa 2 Jahren mal YouTube Kanäle wie DissociaDID und Entropy System gesehen. Ich fand es interessant aber auch irgendwie zu dramatisch um sie ohne Zweifel einfach zu glauben. Vor einem etwas mehr als einem Jahr erlebte ich ein schweres Trauma und bin seit dem psychisch nicht auf der Höhe.

Ich hatte seit meiner frühen Jugend schon verschiedene psychische Probleme und im Nachhinein könnte man vieles mit einer DIS erklären aber ich erlebe es nicht so wie die öffentlichen Darstellungen. Da sind keine Stimmen bloß Gedanken und Eingebungen, die sich fremd anfühlen.

Es gibt keine innere Welt. Ich habe keine langen Phasen von Amnesie, wenn dann begrenzen sie sich meistens auf wenige Minuten. Meistens habe ich lediglich das Gefühl, das die vergangenen Situationen nicht mir passiert sind oder ich kann mich an die Rahmen Zustände erinnern aber nicht an mein Empfinden oder meinen Gefühle.

Ich bemerke zwar verschieden Zustände in mir selbst, die sich sehr deutlich unterscheiden aber geht dass nicht allen so? Ich traue mich nicht mehr zu dem Thema zu recherchieren, weil ich Angst habe, dass ich mir diese Störung nur einrede und jedes Mal wenn ich davon überzeugt bin, dass es stimmen könnte, wird meine innere Stimme gemein und ich habe furchtbare Schuldgefühle, weil ich es wage so etwas vorzutäuschen. Ich weiß nicht wie ich diese Gefühle und Stimmungswechsel navigieren soll. Gibt es einen Test den ich machen kann um mir selbst zu beweisen, dass ich keine DIS habe?

Vielen Dank fürs Lesen und eventuell antworten!


Antworten von Betroffenen der dissoziativen Identitätsstruktur:

 

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 Hallo Caro!

Vielen Dank für deine Frage.

Erstmal würde ich mich fragen: Wieso "glaubt" der Therapeut, dass du eine dissoziative Identitätsstörung hast? Ich vermute er wird dich schon eine ganze Zeit begleiten und hat die Vermutung geäußert. Das wird er aber auf Grund von Symptomen, Beschreibungen und Erleben getätigt haben und weniger, aus "könnte eventuell so sein". Was ich damit sagen will ist, dass du mit deinem Therapeuten das näher besprechen musst. Es gibt offensichtlich Unsicherheiten, Panik, Sorge oder auch eine Art der Verwirrung und das muss mit ihm aufgearbeitet werden.

Als Tipp: Das sollte behutsam besprochen werden, vielleicht auch mit anderen Worten oder anderen Begriffen, denn oftmals ist es so, dass die Scham, das Gefühl, dass es in diese Richtung gehen "könnte" mit Angst besetzt.

Egal unter welchem Namen deine Symptome sich gut zusammenfassen lassen, sie gehen von dem Namen weder weg noch ändert sich gravierend etwas an deinem Erleben.
Wenn die richtige Diagnose gestellt ist, kann es aber zu vielen kleinen Schritten gen Heilung gehen und das ist das was zählt: "Wie kann ich heil(er) werden"

Wenn du dir alle Symptome einbildest, solltest du als Gegenversuch unternehmen, alle vermeintlich eingebildeten Symptome abzustellen. Denn das wäre doch prima, wenn du einfach sagen kannst "Schluss" und es hört einfach auf. Wie wundervoll wäre das? Versuche es einfach mal, denke aber auch dran, dass es sein kann, dass die Symptome nach einer gewissen zeit wieder zurückkommen und der Versuch nicht gelungen ist. Das ist auch okay und bringt dich auf deinem Weg ebenfalls etwas weiter.

Für mich als langjährige Begleiterin hochdissoziativer Menschen kann ich subjektiv sagen: Youtube-Kanäle wie von dir als Beispiel angebracht, haben wenig mit der Realität der allermeisten und mir bekannten Betroffenen zu tun, welche unter einer gesicherten diagnostizierten (p)DIS "leiden" / eine dissoziative Identitätsstruktur haben.
Mein Tipp: Vergleiche dich nicht. Jeder hochdissoziative Mensch hat ganz unterschiedliche innere Erlebniswelten.
Es gibt Schnittpunkte, Ähnlichkeiten, aber auch gänzlich große Unterschiede.
Eine recht passende Kategorisierung ist die "partielle dissoziative Identitätsstörung" und die "(vollausgeprägte) dissoziative Identitätsstörung".
Vielleicht findest du dich hier etwas wieder: https://www.dissoziation-forum.de/index.php/multiplizitaet/dis/part-dis

Merke: Nicht jeder Betroffene mit (p)DIS hat eine ausgeprägte oder überhaupt sichtbare "innere Welt" mit Couch, Garten und Zimmern. Viele die das Beschreiben, haben einiges durch Imagination gefestigt, andere erleben dies schon immer "so".
Nicht jeder Betroffene mit -> pDIS <- erlebt Anteile so klar und deutlich wie Betroffene einer DIS, gerade das was du beschreibst ähnelt bspw. dem, was man in der Fachsprache Intrusionen betiteln könnte. Du nimmst teildissoziiertes Handeln wahr, erlebst wenn nur sehr kurzzeitig Amnesien, vieles fühlt sich fremdgesteuert und nicht zu mir gehörig wahr.

Du schreibst, dass du verschiedene Zustände in dir selbst wahrnimmst. Ja sehr viele Menschen kennen sich mit unterschiedlichen Rollen, unterschiedlichen "Gesichtern", jedoch wird das nie (!) als fremd wahrgenommen, sondern immer als "zu mir gehörig".
Die Trennung zwischen Emotionen und Handeln sind so wie du es beschreibst, recht typisch für Menschen mit dissoziativen Strukturen.

Es gibt keinen Test um zu beweisen, dass du KEINE dissoziative Identitätsstörung hast, aber es gibt diagnostische Interviews, die ziemlich genau klären könnten, in welchem Ausmaß du an einer dissoziativen Störung leidest.

Was auch helfen kann: Versuche es mal einen Tag zuzulassen, einfach nur so tun als ob. So weißt du ja "ich tue heute für mich nur so als ob" und wenn die strafende Stimme kommt, teile ihr mit, dass dies nur für einen Tag so ist und dass du die Bedenken und Gefühle gehört hast, jener heute Pause machen darf.

Liebe Grüße,
Linehme

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Hallo Caro,

mir ist es ein Bedürfnis, dir zu antworten, weil mir das sehr bekannt vorkommt, was du beschreibst.

Vorneweg: Ich habe Jahre gebraucht, und habe immer wieder jetzt noch Zeiten, wo ich diese dissoziative Struktur nicht glaube oder glauben kann.

Du hast geschrieben: "ich erlebe es nicht so wie die öffentlichen Darstellungen."
Ich habe damals so viel gelesen und auch angeschaut und war immer irritiert, weil das bei mir anders war. Es gab bei mir auch keine Stimmen. Es gab Bild-, Wortfetzen, Lieder, Gedichte in meinem Kopf, Sätze... Ich hatte auch keine klassischen flashbacks, oder aber habe es einfach nicht erkannt. Durch das Vergleichen bekommt man Vorstellungen von etwas, was ziemlich weit von der (eigenen) Realität weggeht. Dennoch war es für mich sehr wichtig, andere Betroffene zu lesen oder zu hören, bei denen das ähnlich war. So habe ich gelernt, dass es so unterschiedliche Strukturen und Erlebniswelten gibt. Es gibt nicht die eine DIS! Das ist nur eine Vorstellung.

Du schreibst: "Ich habe keine langen Phasen von Amnesie, wenn dann begrenzen sie sich meistens auf wenige Minuten."
Das ist bei mir auch so. Meine Psychiaterin hat neulich gesagt, dass die Grenze zum Vergessen fließend sind. Ich bin seeeeehr vergesslich. Es geht ja nicht darum, sich ohne Amnesie in eine DIS-Schablone pressen zu wollen. Es geht ja darum, rauszufinden, warum man so leidet und das eigene Leben zu verbessern, egal ob oder welche Diagnose man hat. Die Diagnose soll ja nur helfen, eine angemessene Therapieform zu ermöglichen, die hilft! (Übrigens muss man nicht total amnestisch sein für eine Form von DIS).

Du schreibst: "Meistens habe ich lediglich das Gefühl, das die vergangenen Situationen nicht mir passiert sind oder ich kann mich an die Rahmen Zustände erinnern aber nicht an mein Empfinden oder meinen Gefühle."
Ich würde provokant zurückfragen: Wem sind die vergangenen Situationen dann passiert? Wenn du "lediglich" schreibst, machst du es klein. Es geht nicht darum, zu beweisen ob man eine DIS hat oder nicht. Es geht darum, dass du in deinem Sein dich ernst nimmst und ein sinnvolles zufriedeneres Leben führen kannst. Ich zum Beispiel hatte und habe so Standbilder in mir. Du nennst das Rahmenbedingungen. Ich erinnere auch keine Gefühle. Das bedeutet, dass die Gefühle woanders abgespeichert sind. Das sind schon mal 2, ein vorderer funktionaler Anteil, der den Alltag meistern kann und ein hinterer Gefühlsträger. Diese sind voneinander abgetrennt, weil du keine Gefühle dazu erinnerst.

Es geht darum, der eigenen Wahrnehmung zu ver-trauen und nicht darum, ob jemand einem eine Diagnose geben kann oder nicht.

Was macht es mit dir, wenn jemand sagt, du hättest eine DIS? - Bei mir war es so, dass es immense Ängste ausgelöst hat. Daher muss man behutsam mit sich selbst sein - aus gutem Grund! Sich selber stärken und sich vertrauter machen, stabilisieren. Gut zu sich sein. Die Ängste ernst nehmen. Vorsichtig sein.

Das Gefühl zu lügen, kenne ich auch. Ich fühle mich oft als Lügnerin. Und es ist ja erklärbar, denn für manche Anteile ist es NICHT so. Für die ist es ganz real definitiv nicht so, dass sie traumatisiert sind, weil abgespalten wurde. Sie waren definitiv nicht mitbeteiligt. Und das ist ja das Dilemma der DIS oder das, was krank macht, dass es so widerstreitende Anteile in einem gibt, dass man handlungsunfähig wird oder extrem leidet. Ich brauche da wohl nicht weiter ins Detail zu gehen.

Du schreibst: "Ich bemerke zwar verschieden Zustände in mir selbst, die sich sehr deutlich unterscheiden aber geht dass nicht allen so?"
Ja, jeder hat Anteile. Doch der Unterschied liegt im Leidensdruck. Manche Menschen bringen sich um, weil sie es nicht mehr aushalten können, wenn es so heftige Gefühls-Anteile in einem gibt, die sich bekämpfen zum Beispiel.

Du schreibst: "Ich traue mich nicht mehr zu dem Thema zu recherchieren, weil ich Angst habe, dass ich mir diese Störung nur einrede und jedes Mal wenn ich davon überzeugt bin, dass es stimmen könnte, wird meine innere Stimme gemein und ich habe furchtbare Schuldgefühle, weil ich es wage so etwas vorzutäuschen."
Vielleicht wäre es hilfreich, mit der Stimme zu arbeiten (mit deinem Therapeuten zusammen!), die dich fertig macht, wenn du es dir zugestehst, eine DIS zu haben. Meine Therapeutin sagte neulich, wenn ich denke, ich rede mir das alles nur ein, kann daher kommen, dass eben in der Kindheit soviel abgewertet wurde.

Du schreibst: "Ich weiß nicht wie ich diese Gefühle und Stimmungswechsel navigieren soll."
Darum geht es. Mit diesen Stimmungswechseln zu arbeiten. Weil, diese Extreme sind alle in dir, der eine will das, der andere das. Kennenlernen, Konsenze finden, Kommunikation... dann wird es besser werden. Leichter. Geschmeidiger. Mithilfe deines Therapeuten. Metakommunikation über DIS! Über Zustände. Erklärungen finden, die dir entsprechen, die für dich stimmig sind. Das geht nur, wenn man darüber redet. Nicht in die Details von Trauma gehen, sondern ÜBER das Thema reden, sich langsam annähern, vorsichtig, heranpirschen...

"Gibt es einen Test den ich machen kann um mir selbst zu beweisen, dass ich keine DIS habe?"
Einen Test gibt es nicht. Nur du alleine legst fest, was mit dir los ist, das kann niemand von außen tun. Es geht darum, der eigenen Wahrnehmung wieder ver-trauen zu lernen. Den eigenen Gefühlen. Egal was andere denken oder glauben. Dein Gefühls-er-leben ist für dich wahr!

Ich wünsche dir alles Gute auf deinem Weg.

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Ich möchte gern noch etwas zum Thema social media schreiben. Das ist super schwierig, und auch mich (bzw Anteile von uns) fallen da schnell mal in Zweifel, so nach dem Motto "SO ist das ja gar nicht bei mir, ich kann keine DIS haben". Ich versuche inzwischen youtube&co mit wenigen, "sicheren" Ausnahmen zu meiden. Aber ich verstehe, dass da auch große Sehnsucht sein kann.
Ich glaube, es ist wichtig im Hinterkopf zu haben, dass da immer nur Aspekte und Momentaufnahmen zu sehen sind. Sicherlich gibt es da auch Leute, die sich etwas ausdenken oder andere Symptome für DIS halten, oder etwas falsch verstanden haben und weitergeben usw, aber auch jene, die wirklich über "ihre" DIS oder DIS allgemein aufklären wollen, zeigen natürlich nur Teile und können gar nicht gesamte Kontexte usw ausbreiten. Wenn Anteile sich für Videos in ihre eigenen Lieblingsklamotten werfen, heißt das nicht, dass sie sich auch im Alltag ständig umziehen, als Beispiel. Und natürlich bekommen allein durch onlinedynamiken "krasse" Symptome mehr Aufmerksamkeit, das ist wohl bei vielem so. Je lauter und schriller um so mehr Beachtung.
Mir fällt da auch immer ein Beispiel von mir ein: Ich schreibe auf einem Blog immer mal wieder von Momenten, wo die Innenkommunation läuft und sich sogar auch mal schöne Situationen ergeben. Wenn man nur das liest, könnte man meinen, ich sei da schon voll weit. Ist aber nicht so, so gar nicht. ;) Denn die vielen Male, wo ich ins Leere rede oder nur Fragezeichen im Kopp sind - die beschreibe ich nicht jedes Mal. Ich denke, dass wir bei youtube&co ähnlich sein.
Ich glaube, es ist wichtig, dass du versuchst, bei dir zu bleiben mit deinem Therapeuten zusammen. Bis du mehr Klarheit und Sicherheit hast und dann erst die Fühler online weiter ausstrecken in Bereiche, wo man nicht sicher sein kann, was wie realistisch ist.

Liebe Grüße

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Hallo,

oben wurde schon so viel geschrieben, dass ich nur zur Optik noch etwas hinzufügen könnte. Ich denke es ist wichtig im Hinterkopf zu behalten, dass die beschriebenen Personen mit YouTube Aufmerksamkeit, eine große Reichweite und finanzielles Einkommen erreichen möchten (was auch ihr Recht ist und nichts an ihrer Glaubhaftigkeit generell ändert).
Es ist nur im Hinterkopf zu behalten um die Realität nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn sich jeder von uns extra schminken würde, anders kleiden und einen anders sprechen würde (nämlich so vollkommen anders) und das im Minutentakt wären wir wohl nicht mehr lebensfähig. Besonders bei der Haarfarbe, die sich ständig ändert wird klar, dass das wohl so nicht möglich ist.
Natürlich hat jeder seinen eigenen Stil und seine Lieblingskleidung bzw. verhält sich und klingt anders. Trotzdem gibt es im Alltag eine gewisse Kontinuität, die es auch geben muss, sonst könnten wir an der Gesellschaft nicht normal teilnehmen.
So wie wir in der Therapie anders auftreten, als im "normalen" Alltag... so treten Menschen auf YouTube für gewöhnlich anders auf, als in ihrem Privatleben.

Liebe Grüße

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